Insgesamt habe ich zweieinhalb Jahre in den USA gearbeitet. Danach war ich immer wieder für längere Zeit im amerikanischen und nicht-amerikanischen Ausland. Dabei ist mir aufgefallen, dass mich jedes Mal ein Kulturschock erwartete, wenn ich Deutschland verließ, aber auch, wenn ich zurückkam. Der Grund war einfach: Deutschland hatte sich kaum verändert, ich mich aber umso mehr. Ein persönlicher Einblick in das Phänomen des Reverse-Culture-Shocks.

Wenn wir aufbrechen, erwarten wir ein Anders

Wer ein Studium in den USA plant, dort als Au Pair arbeiten möchte, dorthin versetzt wird oder sich einfach für ein Leben außerhalb Deutschlands entscheidet, weiß, dass er sich umstellen muss. Das fängt bei der Sprache an und geht bis zur Organisation des Alltags. Auf jeden Fall sollte man mit Schwierigkeiten rechnen und damit umgehen können …

Es fängt mit der Sprache an. Mein Englisch war sehr gut, bevor ich in die USA ging, dachte ich. Aber wie viele von uns haben schon einmal einen Mietvertrag für eine Wohnung in den USA unterschrieben? Oder überhaupt eine gesucht? Äh, Moment, wie viel Quadratfuß war noch mal ein Quadratmeter? Und hat ein One-Bedroom-Apartment (meist lapidar mit 1BR abgekürzt) ein Wohnzimmer oder sind Wohn- und Schlafzimmer kombiniert?

Und was ist mit dem Führerschein? Muss ich wirklich wieder eine theoretische und praktische Prüfung ablegen? (Die Antwort: Kommt auf den Bundesstaat an. In Georgia ist es Pflicht.) Und was ist ein Co-Pay für In-Network Doctors bei der Krankenversicherung? Ist eine hohe oder niedrige Deductible gut?

Man merkt schnell, dass die Sprache eine Sache ist, aber die Gepflogenheiten und Abkürzungen können einem den Kopf rauchen lassen. In den ersten Tagen nach der Ankunft brummt einem abends der Schädel – das garantiere ich jedem, der sich zum Auswandern entschließt. Vor allem denen, die mehr oder weniger auf eigene Faust losziehen. Ich selbst hatte nichts als einen Offer Letter in der Hand – das war’s. Auf Deutsch heißt das Arbeitsvertrag, aber in einem deutschen Vertrag steht viel mehr drin. In einem Offer Letter steht oft nur der Arbeitgeber, die Abteilung, das Startdatum und das Gehalt. In meinem Fall war es ein einseitiges Dokument mit einem Hinweis auf Fringe Benefits. Alles klar?

Aber mit Geduld und der Hilfe meiner amerikanischen Kollegen habe ich all diese Kapitel gut gemeistert. Dafür werde ich ihnen mein Leben lang dankbar sein.

Die Arbeitsweise: Yes, we can do!

Der größte Unterschied war für mich die Mentalität der Vorgesetzten und Kollegen. In Deutschland hatte ich sowohl in Unternehmen als auch an der Universität gearbeitet, kannte also beide Seiten. Während man hierzulande gerade in Unternehmen gerne erst einmal aufzählt, warum etwas nicht geht und damit viel mehr Zeit verschwendet, als eine kleine Änderung vorzunehmen, sind die Amerikaner offener für Veränderungen. Und dafür habe ich sie geliebt! Niemand stand mehr ständig auf der Bremse. Chancen wurden gesucht und ergriffen. Das fand ich sehr befreiend.

Und dann kam der Kulturschock ein paar Meilen außerhalb des Campus. Wenn ich zur Post, zur Bank oder zur DMV (Führerscheinstelle) ging, war ich plötzlich in einer anderen Welt. Puh, Bürokratie ohne Ende. Im Gegensatz zu meiner Arbeit durften die Mitarbeiter oft gar nichts entscheiden, mussten bei Kleinigkeiten ihren Vorgesetzten fragen und schnell war da gar nichts. Aber dafür haben sie mich immer gefragt, wie es mir an dem Tag geht …

Spaß beiseite, kennt jemand den Film Zoomania? Das Faultier im DMV ist die perfekte Verkörperung der Arbeitsweise dort. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich ein anderes Mal erzählen werde … Aber hey, auch das habe ich irgendwie ertragen. Die meiste Zeit des Tages hatte ich nichts damit zu tun.

Die Sache ist nur die: Diese grundsätzlich positive Stimmung ist nicht mehr weggegangen. Zumindest bei mir nicht, denn die habe ich heute noch – übrigens zum Leidwesen einiger Kollegen (… mit so einer Idee könnte ja jeder kommen … haben wir noch nie gemacht … geht gar nicht … dafür haben wir keine Kapazitäten … was soll das? … usw.).

Die Kehrseite der Medaille: Arbeitszeiten? Gearbeitet wird hier immer …

Das ist nicht untertrieben. In Unternehmen, das weiß ich aus eigener Erfahrung, ist das oft besser geregelt. Aber an den Universitäten, vor allem an den Spitzenuniversitäten, ist die Arbeitsbelastung deutlich höher als bei uns. Es mag hier und da Ausnahmen auf beiden Seiten des Atlantiks geben, aber die Struktur des Wissenschaftssystems in den USA treibt einen in den Workaholic-Modus. Die Gründe dafür habe ich in diesem Beitrag ansatzweise zu beleuchten versucht.

Auf jeden Fall ist es dort schwieriger, eine Balance zwischen Arbeit und Freizeit zu finden. Diese Erfahrung hat mich aber auch gelehrt, mehr auf mein Bauchgefühl zu hören und nicht jedem Projekt sofort eine hohe Priorität einzuräumen, ohne dabei in die oben beschriebenen typisch deutschen Muster zu verfallen.

Der beschwerliche Rückweg

Irgendwann beschloss ich, meine Karriere in der Forschung aufzugeben und eine andere Richtung einzuschlagen. Das bedeutete automatisch, dass entweder mein Visum ungültig wurde oder ich mir einen neuen Sponsor hätte suchen müssen. Ich bin mir sicher, dass ich meine Ziele auch in den USA hätte verfolgen können, aber ich wollte aus persönlichen Gründen zurück.

Lange Rede, kurzer Sinn: Sich aus dem Ausland auf Stellen in Deutschland zu bewerben, ist nicht einfach. Auch wenn sich Videointerviews erst in Corona durchgesetzt haben, hatte ich schon damals solche Gespräche. Trotzdem haben die meisten deutschen Firmen entweder direkt abgesagt oder gar nicht geantwortet. Ich denke, jeder weiß, wovon ich spreche. Aus dem Ausland ist das alles noch frustrierender.

Nach einem Marathon an Briefen und Gesprächen hatte ich dann das Glück, bei einem kleinen Unternehmen anzufangen … „Yes, we can do!“ war wieder gefragt.

Ich kam also zurück und das Erste, was mir auffiel, war die Verschlossenheit der Menschen. In den Südstaaten sind die Menschen unglaublich freundlich. Fremde schauen sich auf der Straße in die Augen, nicken sich zu. Und das in einer Großstadt wie Atlanta. Wer auf der Straße höflich fragt, bekommt eine Antwort. Hier dagegen schauen alle weg, wollen nicht gestört werden. Das hat mich sehr irritiert.

Dann habe ich gemerkt, dass hier vieles auch keinen Sinn macht oder total umständlich ist. Warum muss ich ein Passfoto mitbringen, wenn ich einen Personalausweis beantrage? Beim DMV wird ein digitales Foto gemacht und auf die Chipkarte gedruckt – das ist in der Gebühr von $20 bereits enthalten. Übrigens ist auch die theoretische Führerscheinprüfung in den $20 enthalten. Und die praktische Prüfung kostet noch einmal $20. Das sind Traumpreise im Vergleich zu Deutschland! Und jetzt sagt mir keiner, dass hier besser gefahren wird. Das sehe ich jeden Tag, dass das nicht so ist.

In vielerlei Hinsicht bin ich heute noch irritiert, warum manche Dinge so unpraktisch sind. Vieles könnte ganz einfach gelöst werden … Wenn man nur wollte …

Was ist mir geblieben?

Es kommt immer auf die Menschen an, die man trifft. Ich bin jetzt seit fast 9 Jahren zurück und habe immer noch Kontakt zu Kollegen und Freunden, die mittlerweile über die ganzen USA verstreut sind. So viel zu den oberflächlichen Amerikanern.

Ich bin kritischer geworden, viel kritischer. Wer einmal tief in eine andere Arbeitskultur eingetaucht ist, hat gelernt, dass es viele Wege nach Rom gibt und nicht nur einen. Sprachlich habe ich enorm davon profitiert, nur von Amerikanern umgeben zu sein.

Und all die krassen Gegensätze, die ich dort erlebt habe, geben mir Treibstoff für meine Texte. Und der geht mir so schnell nicht aus.

Würde ich es wieder tun? Noch einmal ganz woanders anfangen? Ich würde es anders machen, aber ja, 100 Prozent ja. Denn das ist eine Erfahrung fürs Leben, die einen für immer verändert – im Positiven wie im Negativen. Auf jeden Fall gibt es kein Zurück mehr. Wir können die Veränderungen in uns und um uns herum nicht ungeschehen machen. All das versuche ich auch in meinen Texten zum Ausdruck zu bringen.