Kurzbewertung: 3/5 Sternen

Alle Autoren, die über Atlanta schreiben, kennen natürlich Karin Slaughter. Bisher habe ich aber noch keine Rezension zu Ihren Werken verfasst, was schlicht und ergreifend daran liegt, dass ich vor etwa drei bis vier Jahren ein ganzes Regalfach mit ihren Büchern hintereinander verschlungen habe. Was ich damals versäumt habe, hole ich jetzt mit diesem Werk zumindest teilweise nach.

„Die letzte Witwe“ ist im Jahr 2020 in deutscher Übersetzung bei Harper Collins erschienen. Es ist Buch Nummer zwölf in der Sara Linton / Will Trent-Reihe. Beide Protagonisten arbeiten am GBI in Atlanta. Startschauplatz ist der östliche Teil Atlantas (Emory Campus, CDC, Druid Hills).

Slaughter greift das Thema Terrorismus durch rechtsextreme Gruppen auf. 150 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei möchte man meinen, dass dies ein Nischenphänomen sei, und einige Leser fragen sich vielleicht, welche Rolle so etwas in den USA heute noch spielt.

Dazu kurz ein paar Beobachtungen von mir: In Großstädten wie Atlanta oder New Orleans findet man als Tourist eher kaum offen zur Schau getragenen Rassismus. Wer allerdings im ländlichen Raum des Südens mal mit offenen Augen durch die Gegend fährt, findet schnell die Pick-Up-Trucks mit dem Kennzeichenhalter „Sons of Confederate Veterans“ oder Verzierungen mit der Konförderiertenfahne. Da hat man erst einmal einen schlechten Geschmack im Mund und ist bedient. Richtig schlimm wird es, wenn man auf das ein oder andere Hakenkreuz trifft – am Auto, an der Laterne, an der Tanksäule oder auch als Tätowierung auf dem Oberarm des Typen vor dir an der Kasse des Minisupermarkts gleich außerhalb von Nowhere. Natürlich hat der eine Pistole im Hosenbund. Wenn man jetzt noch kann, hält man am besten seeehr viel Abstand. Womit wir wieder beim Slaughter-Buch wären …

Sara ist mit Will zu Besuch bei ihrer Tante, die eine stattliche Südstaatenvilla in der Nähe des Emory Campus bewohnt. Plötzlich hören sie zwei nahegelegene Explosionen. Als der Katastrophenalarm der Uni ausgelöst wird, treibt sie ihre Berufung zum Polizisten auf die Hauptstraße, auf der sie einen Autounfall vorfinden. Zu spät bemerken die beiden, dass der Unfallort eine Falle ist und sie einer Gruppe Schwerkrimineller gegenüber stehen. Die Gangster überrumpeln sie, entführen Sara und prügeln Will fast tot. Im Folgenden muss Will Sara finden, bevor sie und weitere Menschen sterben müssen. Stück für Stück fällt dabei die Maske der Verbrecher und es kommt das wahre Gesicht einer Terrorgruppe aus dem Spektrum der White Supremecy zum Vorschein.

Anders als in vielen anderen Slaughter-Büchern ist die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Dies ermöglicht den Lesern, sowohl den Handlungsstrang von Will als auch den von Sara zu verfolgen. Zusätzlich gibt es Stränge für die Kollegen beim GBI. Ich finde das grundsätzliche eine gute Idee und benutze dieses Mittel auch selbst. Allerdings vermeide ich genau einen Punkt: dieselbe Szene aus der Sichtweise zweier Personen in voller Länge zu erzählen. Meiner Meinung nach nimmt das zu viel Tempo aus der Handlung. Den Beginn des Buches hat Slaughter aber genau so gewählt. Es hat sich für mich angefühlt, als hätte ich beim Lesen andauernd die Handbremse angezogen. Das hat es für mich sehr schwer gemacht, schneller in den Text hineinzufinden.

Und so geht es für mich weiter bis ungefähr zur Hälfte des Buches. Es gibt Wiederholungen, die Szenen unnötig in die Länge ziehen. Das kannte ich von ihren Werken bisher nicht. Beim vorliegenden Werk wollte ich allerdings dabeibleiben, weil ich das Thema superspannend fand und sehen wollte, wie sich das Ende entwickelt. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich vermutlich bei einem Drittel aufgegeben. Der restliche Teil war dann wieder auf dem erwarteten Niveau.

Zusammenfassend muss ich zugeben, dass das lahme Erzähltempo meinen Lesespaß am Anfang des Buchs sehr gedämpft hat. Das gute Ende hat das wieder etwas wettgemacht, aber bis dahin kommen vielleicht gar nicht alle Leserinnen und Leser. Nichtsdestotrotz, wer Thriller mit Wissenschaftshintergrund mag, denen es an Brutalität nicht mangelt und wer den Anfang aussitzt, nee, ausliest, der kann auch bei diesem Werk der Autorin zugreifen.