Kurzbewertung: 5/5 Sternen
Dieses Werk habe ich im Dussmann auf der Berliner Friedrichstraße beim Stöbern kurz vor dem Jahreswechsel entdeckt. Titelbild und Klappentext haben mich sofort in den Bann gezogen. Mit ausschlaggebend für den Kauf des Buchs war natürlich auch der Ort der Handlung – die Golfküste Floridas. Und es ist mein erstes Buch vom Autorenduo Preston & Child. Das hat mich neugierig gemacht.
Der Titel ist im Dezember 2022 in der deutschen Übersetzung bei Droemer Knaur erschienen. „Ocean – Insel des Grauens“ ist Teil einer Reihe um FBI Special Agent Pendergast. Das Werk kann aber unabhängig von den anderen Reihentiteln gelesen werden.
Am Strand der Ferieninsel Captiva Island vor Fort Myers in Florida macht die Polizei einen grausigen Fund: Über hundert Schuhe werden angeschwemmt, in denen jeweils ein abgehackter Fuß steckt. Eilig wird eine Sonderkommission gegründet, die aus lokaler Polizei und Mitgliedern der Küstenwache besteht. Mit militärischer Präzision, aber wenig kreativ, ist der Schuldige schnell gefunden: die illegalen Gefängnisse auf Kuba. Doch das FBI traut den lokalen Behörden nicht und zieht kurzerhand den auf Urlaubsreise befindlichen Agent Pendergast und sein „Mündel“ Misses Green zu den Ermittlungen hinzu. Der exzentrische Pendergast, der gern unkonventionelle Wege geht, engagiert daraufhin auf eigene Kosten ein Wissenschaftlerteam, um eine Strömungsanalyse durchzuführen und damit den Ursprung der Füße zurückzuverfolgen. Als Pendergast den Ursprung findet und erkennt, in welche Gefahr er sich und alle Beteiligten gebracht hat, bleibt ihm keine Zeit, um zu reagieren. Und plötzlich schwebt nicht nur er in Lebensgefahr, sondern sein gesamtes Ermittlerteam, einschließlich der Wissenschaftler.
Bevor ich zu den Figuren bzw. Schreibstil komme, möchte ich ein paar Worte zum Titel und zum Klappentext verlieren. Offenbar ist hier die Marketingabteilung des Verlags ohne Kenntnis des eigentlichen Manuskripts über das Ziel hinausgeschossen, oder besser gesagt, hat es verfehlt. Der Untertitel des Buchs – Insel des Grauens – verspricht einen Gruselfaktor, ist aber eigentlich nicht richtig. Natürlich werden die Füße auf Captiva Island angespült, aber Captiva ist nicht der Ursprung. Der englische Originaltitel „Crooked River“, der so viel bedeutet wie „krummer Fluss“ oder über das Wortspiel mit „crooked“ auch „unehrlicher Fluss“, trifft es viel besser. Es ist eine Anlehnung an „crook“, einem Gauner. Denn das eigentlich grauenhafte Geschehen, das eben Unglaubliche, findet ja am Crooked River statt und nicht auf Captiva.
Die gleiche Ungenauigkeit findet sich im Klappentext, wo die Schuhe blau sind, im Text aber hellgrün.
Wie dem auch sei, Titel und Klappentext haben mein Interesse zum Kauf geweckt. Mehr müssen sie unter Umständen auch gar nicht bewirken, obwohl bei meinen Texten und dem Titel viel mehr Wert auf Präzision lege.
Aber nun zu den Figuren. Am Anfang des Buchs habe ich mich gewundert, wieso Agent Pendergast extrem nobel auftritt und Analysen aus eigener Tasche bezahlt. Bei einer Recherche stellte ich dann fest, dass er einer ultrareichen Südstaatenfamilie entstammt. Gut, eingefleischte Pendergast-Fans wissen das, aber da das mein erster Titel aus der Reihe ist, musste ich nachlesen. Die Figur des Agents ist auf jeden Fall mysteriös, schweigsam, superintelligent und kann normalerweise zwischenmenschliche Situation hervorragend einschätzen. Dass ihm die Erkenntnis der Bedrohung zu spät kommt, ist trotzdem glaubwürdig. Auch sonst wandelt der Agent sich kaum.
Das steht ganz im Gegensatz zu seinem „Mündel“ Constance Green, die anfangs durch ihre elitäre Sprache, den altbackenen Kleidungsstil und ihre kulturellen Interessen wenig zu den Ermittlungen beiträgt. Das ändert sich aber rasch, als sie die Bedrohung von Pendergast erkennt. Sie läuft in den Actionszenen zur Höchstform auf. Man könnte sie fast als stereotype Femme fatale bezeichnen.
Ebenfalls clever, aber mit viel dünnerem Finanzpolster als Pendergast gesegnet, ist sein Partner Coldmoon. Der Agent spricht fließend Spanisch, kann sich hervorragend unter normale Leute mischen und versteht hervorragend ihre Emotionen bzw. Motivationen. Coldmoon kann ebenfalls unerschrocken improvisieren.
Die an sich bizarren Figuren haben mich sofort in den Bann gezogen. Etwas unpassend fand ich teils sehr altbackene Wörter und Redewendungen im Text, die wahrscheinlich im englischen Original wesentlich mehr Sinn ergeben. Im Deutschen wirken sie deplatziert.
Über den Spannungsbogen muss ich zugeben, dass ich den Anfang und das Ende genial fand, in der Mitte mir aber zu wenig passierte. Auch das Ausschweifen des Journalisten zu den Panteras hat für mich keinen wesentlichen Beitrag geliefert. Hier hätte der Verlag eine Kürzung verlangen sollen, um die Handlung zu verdichten. Vermutlich hatten die Autoren eine Längenvorgabe, die sie einhalten mussten. Trotzdem hätte hier etwas straffer erzählt werden können. Auch kleine Logikfehler sind noch im Text. Am Anfang muss Chief Perelman seinen Hund erschießen. Jeder, der mal in den USA gelebt hat, weiß, wie sehr Amerikaner gewöhnlich an ihren Haustieren hängen. Eine gewisse Trauer der Figur des Chief um den Hund wäre verständlich gewesen. Stattdessen wird der Hund erst wieder im letzten Drittel des Texts erwähnt. Das passt einfach nicht richtig zusammen.
Trotzdem empfand ich den Thriller als sehr gelungen. Das Ende ist ein fulminanter Kracher, die Auflösung gut gemacht. Insbesondere Lesern, die Genuine Madness mochten, kann ich das Werk empfehlen, da der medizinische Aspekt nicht zu kurz kommt. Ocean – Insel des Grauens – rasantes Ende, interessant Figuren und ein kleiner Ausflug nach Florida.
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