Das Schreiben ist wie eine Expedition in ferne Länder: Anfangs wirken die Landschaften und Menschen fremd, doch schon nach kurzer Zeit fühle ich mich heimisch. Ich denke vieles neu. Warum habe ich das früher nie so gesehen? Alles scheint plötzlich möglich zu sein. Auf einmal habe ich mehr als ein Leben.
Das Vibrieren des Telefons weckt mich auf. Ich sitze am Schreibtisch und runzele die Stirn. Nur eine Unterbrechung, sage ich mir. Denn diese Reise endet nie.Tobias Miller
Das bin ich
Seit wann schreibst du?
Eigentlich schon seit Ewigkeiten und doch gefühlt erst seit gestern. In meiner Jugendzeit habe ich viel gelesen, war auf kein Genre beschränkt. Manchmal nahm ich wahllos Bücher meiner Eltern aus den Regalen, las sie an, und wenn sie mich fesselten, auch durch. Ich verschlang Geschichten, liebte aber auch Wissenschaft und Technik. Geschrieben habe ich zu dieser Zeit vorwiegend Sachtexte. Nach dem Schulabschluss folgte ich meiner Neigung in Naturwissenschaften und studierte Pharmazie in Berlin. Dies gab meinem Leben eine andere Richtung.
Was genau veränderte sich für dich?
Je mehr ich über Wirkungen der Naturgesetze in und außerhalb unseres Körpers lernte, desto weniger Zeit blieb mir für das Lesen belletristischer Texte. Trotzdem war ich hungrig nach mehr – mehr Wissen. Drei Staatsexamina später saß ich in einem pharmazeutischen Forschungslabor. Noch mehr Lesen. Und Schreiben von sterilen Passivsätzen. Für mein damaliges Ich war das genau richtig, aber ich hatte gar keine Zeit mehr für Fachfremdes.
Deine Bücher spielen in den USA. Was hat es damit auf sich?
Vier Tage nach der Verteidigung meiner Dissertation saß ich im Terminal 2 des Frankfurter Flughafens: „Final boarding call. Delta flight 15 bound for Atlanta Hartsfield-Jackson International Airport.“ Das nächste Abenteuer stand an. Ich wollte zurück an die Uni, mehr Zeit für Grundlagenforschung, mehr Tiefgang, anderes Fachgebiet. Dreizehn Stunden später stand ich mit nur einem Koffer bewaffnet in der U-Bahn Richtung Downtown. Oh mein Gott! Die Vororte sahen aus wie Slums. Das ist nicht wie Boston, wo ich ein Jahr zuvor für ein paar Wochen gewohnt hatte. War das die richtige Entscheidung gewesen?
Und? War es?
Im Nachhinein betrachtet: absolut. Midtown und Downtown hatten nicht den geringsten Charme eines Slums. Und selbst in Boston hatte es zwielichtige Ecken gegeben. Der Anfang in Atlanta war trotzdem sehr hart. Direkt nach meiner Ankunft überzog eine Hitzewelle das Land. Die Stadt glühte eine Woche lang jeden Tag mit über 45 Grad im Schatten. Dazu gesellte sich die feuchte Luft aus dem Golf von Mexiko. Midtown war ein Dampfbad. Ich musste überall hinlaufen, hatte ja kein Auto. Zwischen Wohnungsbesichtigungen, Führerscheinprüfungen (ja, genau, noch einmal theoretisch und praktisch) und Amtsterminen gewöhnte ich mich an den Zungenschlag der Südstaaten. Zum Glück griffen mir meine neuen Kollegen unter die Arme, da viele Dinge des täglichen Lebens in den USA anders funktionieren als in Deutschland.
Hattest du mehr Zeit zum Lesen und Schreiben?
Leider nein. Ganz im Gegenteil. Meine Arbeitstage wurden noch länger, die Wochenenden noch kürzer. Mit der Zeit offenbarten sich mir die Kontraste des Landes, wie ich sie bisher von Deutschland nicht kannte. Alles in mir veränderte sich. Nach über zwei Jahren fällte ich schweren Herzens die Entscheidung: Ich kehre der Wissenschaft den Rücken. Das hieß dann aber auch, nach Deutschland zurückzukehren, da mein Visum auf Forschungsarbeiten an der Uni beschränkt war.
Was machst du heute?
Es war nicht leicht, nach längerer Abwesenheit zurückzukehren. Deutschland hatte sich kaum verändert, ich mich aber umso mehr. Ich orientierte mich beruflich neu und stellte mich anderen Herausforderungen. Ich fand meinen Weg und sogar mehr Zeit fürs Schreiben. Heute lebe und arbeite ich in Darmstadt.
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