Kurzbewertung: 4/5 Sternen
Der Sandmann ist der vierte Teil der Joona Linna-Reihe des schwedischen Autorenduos mit dem Künstlernamen Lars Kepler. Das Buch ist 2014 in der deutschen Übersetzung bei Bastei Lübbe erschienen. Ich habe den Titel in einer kleinen, unabhängigen Buchhandlung entdeckt. Cover und Klappentext haben kurzweilige Unterhaltung versprochen, daher habe ich zugeschlagen.
Joona Linna ist Kommissar beim Landeskriminalamt Schwedens und hat im Fall des Serienmörders Jurek Walter ermittelt, der seit Jahren in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie sitzt. Als eines seiner totgeglaubten Opfer von der Polizei aufgegriffen wird, reißt der Fall bei Linna alte Wunden auf, denn plötzlich besteht die Möglichkeit, dass noch weitere Opfer am Leben sein könnten. Der Einzige, der darüber Auskunft geben kann, ist aber Jurek Walter, doch der redet nicht mit Linna. Zusammen mit dem Staatsschutz schmiedet Linna einen Plan, seine Kollegin Saga Bauer in die Psychiatrie einzuschleusen, um Jurek Walter auszuhorchen.
Zentrales Thema sind die Hauptkonflikte der Protagonisten Linna und Bauer, die den Plot vorantreiben. Linna hat immer daran geglaubt, dass Jurek Walter einen Komplizen hat, jedoch er hat irgendwann aufgehört, zu ermitteln. Durch das Auftauchen des Opfers Jahre nach Abschluss der Ermittlungen fühlt er sich nicht nur in seiner Vermutung bestätigt, sondern auch schuldig. Bauer dagegen plagen die Erinnerungen an ihre Kindheit, die ihr zu früh zu viel Verantwortung aufgelegt hat. Daher entscheidet sie sich, einem weiteren Opfer von Jurek Walter durch das Einschleusen in die Psychiatrie zu helfen, das durch den Serienmörder ebenfalls der Kindheit beraubt wurde.
Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, die oftmals mit einem Cliffhanger enden. Linna ermittelt dabei außerhalb der Psychiatrie, Bauer erhält als vermeintliche Patientin direkten Kontakt zum Serientäter. Dadurch ergibt sich ein energiegeladener Plot, der durch den knappen Erzählstil schnell vorangetrieben wird. Die Autoren haben weitere Bedrohungen gegen Saga Bauer durch den behandelnden Psychiater eingebaut, was die Spannung nochmals erhöht. In dieser Hinsicht liefert das Buch ab, was der Klappentext versprochen hat.
Allerdings gibt es einen Punkt beim Schreibstil, der mich beim Lesen immer wieder herausgerissen hat: An für mich unpassenden Stellen winken Kinder mit einem Stofftier hinter der Autoscheibe, fährt ein Kinderwagen über einen Schneeberg oder kommt ein Kind ins Zimmer gelaufen. Hier haben die Autoren ihre Kinderliebe überzeichnet. Es sind für mich diese einzelnen eingestreuten Sätze, die in der Luft herumhängen und nichts zur Situation in der Szene beitragen.
Diese Überzeichnung findet sich nochmals bei der Figur Saga Bauer. Bauer motiviert zwar der Gedanke, noch möglicherweise lebendige Opfer zu retten, aber die Risiken der Operation sind von Anfang an hoch und die Erfolgschancen gering. Linna, Bauers Vorgesetzte und sie selbst wiegen das Leben eines Kindes höher als das der Kommissarin Bauer. Für mich ist das eine Frage der Erfolgswahrscheinlichkeit im Verhältnis zum Risiko. In der Psychiatrie sitzt ein extrem intelligenter und mit allen psychologischen Tricks vertrauter Jurek Walter, der seit Jahren nicht mit der Polizei gesprochen hat. Und ausgerechnet Bauer fühlt sich nach einem inneren Kampf berufen, ihm die letzten Geheimnisse über den Aufenthaltsort der Opfer zu entlocken. Dafür lässt sie sich als Patientin einschleusen, ihrer Menschenrechte berauben und Psychopharmaka spritzen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass irgendein Polizeiapparat solche Risiken eingeht. Das Einschleusen von Polizeispitzeln in Gefängnissen ist etwas anderes, aber die Sicherheitsverwahrung ist für mich ein Schritt zu weit. Die Gefahr, die Kommissarin durch den Serienmörder zu verlieren, steht in keinem Verhältnis zum Einsatzrisiko. Dieser Punkt wird zwar thematisiert, aber insgesamt nicht glaubwürdig dargestellt.
Des Weiteren gibt es einige lose Enden und Logikfehler im Plot. Zum Beispiel wird am Anfang darauf hingewiesen, dass die Opfer einen Anruf vor der Entführung erhalten haben. Dies wird aber nie wieder aufgegriffen. Danach hätte Linna fragen müssen, nachdem eines der Opfer gefunden wurde.
Gegen Ende schießt Saga Bauer aus einer Entfernung von hundert Metern mit einer Glock 17 (einer Pistole) auf Jurek Walther und trifft ihn am Ohr. Sie mag ja eine gute Schützin sein, aber jeder, der mal eine Pistole abgefeuert hat, weiß, dass man auf dieser Entfernung vielleicht noch einen LKW trifft, wenn man Glück hat.
Meinen positiven Gesamteindruck trüben diese Punkte trotzdem nicht, denn die Spannung bleibt bis zum Schluss erhalten. Der Verlag vermarktet das Buch als Schwedenkrimi, jedoch kommen Fans von Psychothrillern ebenfalls auf ihre Kosten. Dieses Buch eignet sich für alle Leserinnen und Leser, denen explizite Gewalt und beklemmende Situationen ordentliches Herzklopfen bereitet. Daher eine klare Leseempfehlung.
Schreibe einen Kommentar